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„Hunger ist mehr als ein leerer Magen“

Interview mit Dr. Lars Brinkmann

Veröffentlicht am

Trotz aller Erfolge im Kampf gegen den Hunger bleibt er ein stiller und mächtiger Feind. Oft wirkt er unsichtbar, raubt Chancen und untergräbt Entwicklung, bevor sie beginnen kann. Er wirkt oft unsichtbar, raubt Chancen und untergräbt Entwicklung, bevor sie beginnen kann.

Hinter jeder Zahl steht ein Kind, das ohne ausreichende Ernährung nicht lernen, nicht wachsen und nicht sein volles Potenzial entfalten kann. Hunger bedeutet nicht nur leere Mägen, sondern eingeschränkte Bildung, verlorene Kindheiten und eine Zukunft, die gefährdet ist.

Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, wie zerbrechlich Ernährungssicherheit ist. Deshalb ist es entscheidend, Hunger sichtbar zu machen und über seine Folgen zu sprechen. Das folgende Gespräch mit Dr. Lars Brinkmann (Chefarzt des St. Vinzenz-Krankenhauses Hanau) verdeutlicht, wie sehr Hunger Körper und Geist belastet und wie entscheidend schon eine einzige Mahlzeit täglich für das Leben und die Entwicklung eines Kindes sein kann.

Lars Brinkmann small

Mary’s Meals: Herr Dr. Brinkmann, viele Menschen verbinden mit Hunger ein flaues Gefühl im Magen, wenn eine Mahlzeit ausfällt. Wie unterscheidet sich dieses alltägliche Gefühl von echtem Hunger?

Dr. Brinkmann: Was wir in unserem Alltag als „Hunger“ bezeichnen, ist meist ungefährlich. Es ist ein kurzfristiges Signal unseres Körpers, das uns sagt: Du brauchst Energie. Echter Hunger, wie er in vielen Teilen der Welt herrscht, ist etwas ganz anderes. Er ist ein langsamer, stiller Angriff auf den gesamten Menschen, körperlich wie seelisch. Der Körper wird nicht nur geschwächt, sondern Stück für Stück abgebaut.

Mary’s Meals: Was passiert genau, wenn ein Mensch über längere Zeit keine Nahrung erhält?

Dr. Brinkmann: In den ersten 24 bis 48 Stunden greift der Körper auf seine Glukosereserven zurück, die in Leber und Muskeln gespeichert sind. Diese Vorräte sind schnell aufgebraucht. Danach beginnt ein kataboler Prozess: Der Körper gewinnt Energie, indem er Fettreserven abbaut und dann Muskeleiweiß. Dabei macht er keinen Halt vor lebenswichtigen Muskeln wie Herz- oder Atemmuskulatur.

Mary’s Meals: Welche Symptome treten dabei auf?

Dr. Brinkmann: Die Symptome sind erschütternd. Es beginnt mit Schwindel, Reizbarkeit und Konzentrationsstörungen. Danach kommen Muskelzittern, Schwäche, verlangsamte Wundheilung, trockener Mund, fahl-gelbliche Haut, hervorstehende Augen. Die inneren Organe werden geschädigt, das Blut verliert Eiweiß, was zu sogenannten Hungerödemen führt – Wassereinlagerungen unter der Haut. Und irgendwann ist der Körper so erschöpft, dass selbst das Hungergefühl verschwindet. Der Mensch kann dann kaum noch Nahrung aufnehmen.

Mary’s Meals: Sie erwähnten auch psychische Auswirkungen. Inwiefern ist das Gehirn betroffen?

Dr. Brinkmann: Hunger beeinflusst massiv das zentrale Nervensystem. Das Denken wird langsamer, fast zäh, als läge ein dichter Nebel über dem Gehirn. Gedächtnis, Konzentration, Urteilsvermögen – all das nimmt ab. Es treten depressive Verstimmungen auf, bis hin zu Apathie und Halluzinationen. Die Persönlichkeit verändert sich, der Mensch zieht sich zurück. Was bleibt, ist ein reiner Überlebensmodus.

Mary’s Meals: Was passiert in den letzten Stadien?

Dr. Brinkmann: Der Körper signalisiert: „Ich kann nicht mehr.“ Nahrung würde jetzt nur noch Schmerzen verursachen. Es beginnt ein stilles Verlöschen. Viele sterben nicht direkt an Hunger, sondern an banalen Infektionen, weil das Immunsystem nicht mehr funktioniert. Ohne medizinische Hilfe kommt es zu Herzrhythmusstörungen, Leberversagen oder Atemstillstand. Ein dramatischer, aber stiller Prozess.

Mary’s Meals: Besonders Kinder gelten als besonders gefährdet. Warum?

Dr. Brinkmann: Kinder befinden sich im körperlichen und geistigen Wachstum. Sie brauchen Nährstoffe nicht nur zum Überleben, sondern für ihre Entwicklung. Ein dauerhafter Mangel in jungen Jahren führt zu irreversiblen Schäden: Kleinwuchs, gestörte Hirnentwicklung, Lernstörungen, geschwächtes Immunsystem. Viele dieser Kinder können ihr Potenzial nie entfalten. Schlicht, weil ihnen eine Mahlzeit fehlte.

Mary’s Meals: Das ist schwer zu begreifen und doch Realität für Millionen. Gibt es Hoffnung?

Dr. Brinkmann: Ja. Und sie beginnt mit etwas so Einfachem wie einer regelmäßigen Mahlzeit. Eine Tasse Porridge kann den Unterschied zwischen Hoffnungslosigkeit und Zukunft bedeuten. Organisationen wie Mary’s Meals zeigen, wie effektiv Hilfe sein kann: Schulmahlzeiten stillen nicht nur den Hunger, sondern ermöglichen Bildung, Stabilität und ein Leben in Würde. Jede gefüllte Schale durchbricht den Kreislauf aus Hunger und Armut.

Mary’s Meals: Vielen Dank für dieses eindrückliche Gespräch, Herr Dr. Brinkmann.